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ernte dich selbst - freiheit 06    « projekt-seite


Presse:

Süddeutsche Zeitung, 7./8. Oktober 2006, Sabine Leucht
Schreiende Spargel
"Ernte dich selbst" im Ampere mit
Philine Velhagen / Barbara te Kock

Das neue Kapitel von Philine Velhagens und Barbara te Kocks Sammelband realtheatraler Begebenheiten handelt vom großen dramatischen A wie Arbeitslosigkeit. Und das hat auch viel mit dem Aufstehen zu tun und mit Anrufen bei Freunden, die morgens um halb elf bereits Joggen waren oder "schon wiedeer den ganzen Tag im Büro" sind. A wie Arbeitslosigkeit, Aurstehen, Anrufen also, aber auch wie Alleinsein oder Ausbeutung, bevor man ein Selbst- davorsetzt. Auweia! Da hat man erst A gesagt, und schon bricht das Elend über einen herein. Im Ampere, wo "Ernte dich selbst - freiheit 06" mit einem veritablen Horrortrip seinen Abschluss findet: In einem Video (Fudo Lang) sitzt der, der sich zuvor als "nicht geeignet für die Ackerfurche" geoutet hat, in einer cremig gerührten Ackermatsch-Lache und verteilt das Zeug im weißen Raum. Fanny erntet mit einem Rasierer das Bärenfell, in dem sie steckt, und in schnellen Bildern dazwischen wird verzweifelt kopuliert.
    Die eigene Haut zu Markte zu tragen, ist eine wüste Geschichte. Freie Schauspieler wie Katja Brenner, andreas Herzog, Mirco Monshausen und Anastasia Papadopoulou wissen das genau. Doch dieser Kampf von vier Menschen um ein besseres Leben, nachdem die Arbeit längst in Rumänien wohnt und selbst die Spargel auf dem Feld nach geschickten Polenhänden schreien, ist wunderbar selbstironisch, saukomisch, tief menschlich und mindestens so chaotisch wie der Überlebenskampf selbst.
Sabine Leucht



AZ 9. Oktober 2006, Mathias Hejny
Alleinverdienende Katze
Das Theaterprojekt "Ernte dich selbst - Freiheit 06"
im Club Ampère

Mit früheren Projekten wie "Warum man im Kino weint und im Theater nicht" oder "Verschwörung Kubelka" erzählten Philine Velhagen und Barbara te Kock bereits von der komplizierten Beziehung zwischen individueller Wahrnehmung von Realität und Erscheinung der Wirklichkeit in den Medien.
   Im neuen Stück "Ernte dich selbst - Freiheit 06" werden die Medienmacher, also die Künstler selbst, zum Gegenstand der Betrachtung: Ihr selbstausbeuterisches Dasein wird gegenwärtig zum Model für alle, die ihre Arbeitskraft außerhalb des global schwindenden Arbeitsmarkts zu Dumpingpreisen verkaufen müssen.
   An Nacherzählbarem verspricht die Produktion im Club Ampère die Geschichte einer Katze, die ihren Lebensunterhalt allein verdienen muss. Oder jene vom Exmanager, dessen Arbeit jetzt in Rumänien liegt, und der Inderin, die als Amerikanerinnen-Darstellerin im Call Center arbeitete. Zu sehen ist aber auch die arbeitslose Fanny, die in einer Fernsehshow einen Job als Biomülltonne gewinnt.
   Der Plot ist im Theater von Velhagen und te Kock jedoch nachrangig. Aus Improvisationen der Schauspieler Katja Brenner, Anastasia Papadopoulou, Andreas Herzog und Mirco Monshausen entwickelten die Regisseurinnen ein assoziationsreiches, frei schwebendes Gewebe aus originellen Bilderfindungen, unverbrauchter Prosa, locker aus dem Ärmel geschütteltem Kabarett und roher Polemik.
   Nach umständlichem Beginn sprudelt ein Fluss des Absurden: Ein Spargelstecher berichtet von Identitätskrisen angesichts des geschundenen Edelgemüses, und in den Videos (von Fudo Lang) wird das Wort von der "Selbstausbeutung bis aufs Blut" wörtlich genommen.
Mathias Hejny

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velhagen/te kock, 2005-2006